Pflege leicht gemacht

Die Veranstaltungsreihe „Neukölln Cares“ in der Helene-Nathan-Bibliothek will Licht in den Paragraphendschungel rund um das Thema Pflege bringen

Quelle: Birgit Leiß

Quelle: Birgit Leiß

Quelle: Birgit Leiß

Über die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf wird viel gesprochen. Doch wie man die oft fordernde Pflege eines Familienmitglieds mit dem Job unter einen Hut bringt, steht nur selten im Fokus der Öffentlichkeit. Dabei sind viele noch nicht im Rentenalter, wenn die Eltern Pflege brauchen. Bei der Beratungseinrichtung Kobra hat man seit über 30 Jahren Erfahrung mit solchen Herausforderungen. Das vom Senat geförderte Projekt ist seit 2020 Berliner Fachstelle für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege. Petra Kather-Skibbe von Kobra informierte beim Vortrag in der Helene-Nathan-Bibliothek über rechtliche Möglichkeiten, Job und Pflegeaufgaben zu verbinden, ohne auf allzuviel Einkommen verzichten zu müssen. So gibt es seit ein paar Jahren für Pflegende einen Anspruch auf teilweise oder komplette Freistellung. Dafür gibt es zwei rechtliche Grundlagen, die miteinander verzahnt sind: das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz. Demnach können Menschen, die pflegebedürftige nahe Angehörige zu Hause pflegen für eine bestimmte Zeit ihre Arbeitszeit reduzieren oder sich ganz freistellen lassen (maximal 6 Monate nach dem Pflegezeitgesetz und bis zu 24 Monate nach dem Familienpflegezeitgesetz). Wer Minderjährige oder einen Menschen in seiner letzten Lebensphase pflegt, hat darauf auch dann Anspruch, wenn die Betreuung außerhäuslich, also etwa in einem Hospiz erfolgt.

Zuschüsse, Darlehen, Anträge – gut informiert klappt’s besser

Es gibt jedoch eine wichtige Einschränkung: diese Regelung gilt nur für Betriebe mit mehr als 15 (Pflegezeit) bzw. 25 (Familienpflegezeit) Beschäftigen. „Bei kleineren Firmen lohnt es sich, zu verhandeln“, rät Petra Kather-Skibbe. Die Betriebe haben schließlich ein Interesse daran, ihre Arbeitskräfte zu halten. Manchmal gibt es auch Sonderregelungen im jeweiligen Tarifvertrag. Pflegezeit und Familienpflegezeit sind miteinander kombinierbar. Man kann also direkt im Anschluss an eine Pflegezeit eine Familienpflegezeit in Anspruch nehmen. Bei letzterer muss man aber mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten. Insgesamt sind maximal 24 Monate möglich. Eine weitere Möglichkeit, wenn das Einkommen ganz oder teilweise wegfällt: übergangsweise Bürgergeld beantragen. Außerdem kann beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) ein zinsloses Darlehen beantragt werden. Der Familienpflegezeit-Rechner (www.wege-zur-pflege.de/familienpflegezeit/rechner) gibt eine erste Orientierung, welche Leistungen am besten passen. „Man sollte aber immer individuell schauen, welches Konstrukt man stricken kann“, empfiehlt Petra Kather-Skibba. Kobra bietet kostenlose Beratung an - übrigens auch für Unternehmen, die nach Lösungen für ihre pflegenden Beschäftigten suchen.
Infos & Terminvereinbarung unter
www.pflegezeit-berlin.de
info@kobra-berlin.de
Telefon (030) 695 923 0

Auch auf Feuerwehreinsätze hat man einen Anspruch

Eine Teilnehmerin der Veranstaltung wollte wissen, was sie tun kann, wenn sie ganz kurzfristig zu ihrer Mutter nach Süddeutschland muss, um die Pflege zu organisieren. Dafür gibt es die Kurzzeitige Arbeitsverhinderung. Demnach hat man das Recht, sich für maximal 10 Arbeitstage pro Kalenderjahr freistellen zu lassen – ohne Zustimmung des Arbeitgebers und ohne Ankündigung. Voraussetzung ist jedoch., dass eine akute Pflegesituation eingetreten ist, also erstmals Pflege nötig ist oder sich der Zustand drastisch verschlechtert hat.  Für diese 10 Tage kann ein Pflegeunterstützungsgeld analog dem Kinderkrankengeld bezogen werden. Der Antrag ist bei der Pflegekasse zu stellen.

Finanzielle Unterstützung für Pflegende

Über die Entlastung pflegender Angehöriger referierte bei einem zweiten Termin in der Bibliothek Christine Schmidt-Statzkowski von der Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung, Krebs und chronischen Erkrankungen (BKE) des Gesundheitsamts Neukölln. Sie weiß nur zu gut: in der Regel muss ein ganzer Wust an Anträgen gestellt werden, allen voran der Antrag auf eine Pflegestufe. Sie muss bei der Krankenkasse beantragt werden. „Immer zusätzlich auch den Grad der Behinderung feststellen lassen“; rät Christine Schmidt-Statzkowski. Noch ein Tipp: den Antrag für die Pflegestufe frühzeitig stellen und den Termin für den Hausbesuch des Medizinischen Dienstes keinesfalls absagen, sonst droht eine lange Wartezeit. Wird der Antrag abgelehnt, sollte man sich nicht scheuen, Widerspruch einzulegen. Wenn zu Hause gepflegt wird, gibt es zum einen von der Pflegekasse Geld für Sachleistungen. Die Höhe ist abhängig von der Pflegestufe. Zum anderen steht der pflegenden Person Pflegegeld zu. 332 Euro sind das beispielsweise ab 1.Januar 2024 bei Stufe 2. Bei Stufe 4 bekommt man 765 Euro monatlich und bei Stufe 5, der höchsten, sind es 974 Euro im Monat. Außerdem hat die Hauptpflegeperson Anspruch auf Rentenpunkte.

Hilfen für die barrierefrei Umrüstung der Wohnung

Die Pflegekassen zahlen auch Zuschüsse für Umbaumaßnahmen in der Wohnung, etwa die Entfernung von Schwellen oder der Einbau einer barrierefreien Dusche. Pro Maßnahme gibt es bis zu 4000 Euro. Was viele nicht wissen: der Vermieter oder die Vermieterin muss das in der Regel genehmigen. Darauf gibt es einen gesetzlichen Anspruch.  Auch hier sollte man sich beraten lassen. Erste Anlaufstelle für alle Fragen rund um Pflege und Alter ist der Pflegestützpunkt in den Neukölln Arcaden.
https://www.pflegestuetzpunkteberlin.de/standort/karlmarxstrasse/

„Ich wusste gar nicht, dass es so viele Zuschüsse gibt“, meinte eine Teilnehmerin der Info-Veranstaltung. In der Tat gibt es diverse finanzielle Hilfen und gerade in Neukölln ein gutes Netzwerk an Unterstützungsangeboten. Beim Markt der Möglichkeiten im Foyer der Helene-Nathan-Bibliothek stellten sich die wichtigsten Einrichtungen vor. Der Markt bildete den Abschluss der Pflegewoche im September, der dritten in diesem Jahr.

Vom 27.11.2023 bis 02.12.2023 findet noch einmal eine Pflegewoche statt, diesmal mit dem Schwerpunktthema „Gut eingespielt – Erkrankungen oder Pflege in den Familienalltag integrieren“. -> Programm der Pflegewoche