Tabuthema Analphabetismus

Die erste Alpha-Woche in Neukölln will für das wenig bekannte Thema Analphabetismus sensibilisieren

Dass rund 28 000 Erwachsenen in Neukölln das Lesen und Schreiben schwer fällt, mag man kaum glauben. Doch die Zahl beruht auf gesicherten Daten der „leo.-Level-One“-Studie der Universität Hamburg. Es handelt sich überwiegend um funktionalen Analphabetismus, das heißt die Betroffenen kennen die Buchstaben, können aber keine längeren zusammenhängenden Texte verstehen. Neuköllns Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD) erklärte bei der gut besuchten Eröffnungsveranstaltung am 4. April in der Helene-Nathan-Bibliothek, dass das Thema im Bezirk schon seit längerem eine große Rolle spielt. Das Alpha-Bündnis, ein Zusammenschluss verschiedener Akteure, die sich für Grundbildung und Alphabetisierung von Erwachsenen einsetzen, existiert seit 2012. Die Volkshochschule Neukölln, die das Bündnis auch finanziert, hat schon seit längerem einen Fokus auf die Alphabetisierung gelegt. Neben Lese- und Schreibkursen für Erwachsene werden im LERNHAUS der VHS in der Werbellinstraße 77 maßgeschneiderte Grundbildungskurse angeboten, die auch Berufsorientierung, Fotografieren oder PC-Kompetenz beinhalten. Die Jobcenter sind ebenfalls mit im Boot und vermitteln bei Bedarf an die entsprechenden Stellen weiter. Karin Korte wies darauf hin, dass grundsätzlich die Schwellen niedrig zu halten sind, da es sehr viel Überwindung kostet, sich für einen Kurs anzumelden.

Der erste Schritt ist nicht einfach

Bei Tina war es eine Nachbarin, die sie überredet hat, mal beim Verein „Lesen und Schreiben“ vorbeizugehen. Zehn Jahre ist das her und mittlerweile kann Tina flüssig lesen und schreiben und unterstützt andere „Lerner und Lernerinnen“, wie sie hier genannt werden. Tina und zwei weitere ehemalige Analphabet*innen fanden den Mut, vor den Publikum der Eröffnungsveranstaltung zu lesen. In den Texten ging es auch darum, wie sehr man im Alltag gehandicapt ist, wenn man nicht einmal einen Einkaufszettel schreiben oder die Speisekarte lesen kann. Viele sind krampfhaft bemüht, ihren „Makel“ vor ihrem Umfeld zu verbergen.

Eine Ausstellung mit berührenden Biografien

Welche persönlichen Schicksale dahinter stehen, zeigt eine sehr berührende Ausstellung (siehe Bild), die im Rahmen eines Lehrgangs „Fit für den Beruf“ entstanden ist. Die Teilnehmer*innen, die sich hier mit ihrer Biographie vorstellen, haben alle Schlimmes erlebt. Es sind Geschichten von Flucht und Krieg, von schwierigen Familienverhältnissen, Heimaufenthalten und einer Kindheit, in der für Bildung kein Platz war. „Wir haben alle unser Päckchen zu tragen, aber wir sind nicht doof“, bringt es Tina auf den Punkt. „Wir haben kleine Schwächen, aber bitte schließt uns nicht aus eurer Welt aus“, appellierte sie an die Zuhörer*innen.

Die Alpha-Woche mit Filmen, Fachvorträgen. Lesungen  und einem Marktplatz in den Neukölln Arcaden geht noch bis zum 11.4. Die Ausstellung soll noch länger in der Helene-Nathan-Bibliothek zu sehen sein

Das bezirkliche Alpha-Bündnis ist ein Projekt von GesBiT (Gesellschaft für Bildung und Teilhabe mbH). Die Koordinatorin des Alpha-Bündnisses ist Ida Wehinger, E-Mail  Ida.Wehinger@gesbit.de (hier auch Infos zum LERNHAUS der VHS Neukölln)

Infos zum Bündnis
www.alphabuendnis-neukoelln.de


Verein Lesen und Schreiben
Herrnhuter Weg 16
12043 Berlin – Neukölln
U-Bahnhof Karl-Marx-Straße.
Telefon: 030 687 40 81
www.lesen-schreiben.com
E-Mail: info@lesen-schreiben.com