Mission Rückereroberung der Plätze geglückt

Vor knapp zwei Jahren startete das Gewaltpräventions-Projekt „Auf die Plätze!“ Nun wurde eine rundum positive Zwischenbilanz gezogen.

Quelle: Birgit Leiß

Quelle: Birgit Leiß

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Quelle: Birgit Leiß

Das heißt nicht, dass es nun überhaupt keine Probleme mehr mit Vandalismus und aggressiven Jugendlichen gebe. Aber im Vergleich zur Situation von vor zwei Jahren hat sich die Lage merklich entspannt. Von einer Erfolgsgeschichte spricht Ingo Siebert, Leiter der Geschäftsstelle der Landeskommission Berlin gegen Gewalt. Gerade im Flughafenkiez habe die Zusammenarbeit der Akteure vor Ort und die Kooperation mit der Polizei besonders gut geklappt. Im Juli 2017 hatte die Landeskommission, die bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport angesiedelt ist, allen Bezirken 150.000 Euro für kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention bereitgestellt. In Neukölln wurde dafür der Flughafenkiez ausgewählt und das Projekt „Auf die Plätze!“ konzipiert.

Jugendgangs machten Stress

Am Boddinplatz und am Käpt’n-Blaubär-Spielplatz kam es seinerzeit immer wieder zu Vandalismus, Schlägereien sowie sexuellen und homophoben Übergriffen. Zwei gewalttätige Jugendgangs dominierten die beiden Plätze, beleidigten und pöbelten Besucher*innen an, so dass sich viele unsicher fühlten oder die Plätze ganz mieden. Nach den Wochenenden sah es rund um den Kinder- und Jugendtreff Blueberry Inn wüst aus, teilweise wurden Tischtennisplatten zertrümmert. „Die Förderung über die Landeskommission war daher ein Segen für uns“, sagt Michael Thoma, Sozialraumkoordinator im Jugendamt Neukölln: „Wir wollten Familien dabei unterstützen, sich diese Plätze zurückzuerobern.“ Gleichzeitig sollte den Jugendlichen Alternativen geboten werden. Denn eins ist unstrittig: es fehlt an Freiräumen im Quartier, wie es früher beispielsweise das Kindl-Areal war.

Sonntags besetzen jetzt Mütter die Bänke

Das Projekt hat drei Säulen. Beim Teilprojekt „Spielplatz für alle“ sollen auffällige Jugendgruppen und Drogenkonsument*innen auf dem Käpt’n-Blaubär-Spielplatz zurückgedrängt werden, so dass sich Eltern und Kinder wieder sicher fühlen. Ein wichtiger Baustein: die Elternaktivierung. So wurde eine Müttergruppe unterstützt, die sich jeden Sonntag auf dem Spielplatz trifft. „Von den Müttern lassen sich die Jungs nämlich was sagen“, erklärt Michael Thoma. Zudem arbeitet man im Blueberry Inn jetzt stärker geschlechterreflektiert. Es gibt einen Jungen- und einen Mädchentag, in dem jeweils über Themen wie Homophobie, sexuelle Selbstbestimmung oder Rollenverständnis diskutiert wird.

Das Abrutschen in kriminelle Karrieren verhindern

Auch mit dem zweiten Teilprojekt „Boddin Power Play“ ist es gelungen, Junkies, aggressive Jugendliche und andere problematische Nutzergruppen ein Stück weit zurückzudrängen. Das Team von MaDonna Mädchenkult:Ur e.V., dem Träger des Teilprojekts, zeigt Präsenz auf dem Boddinplatz, macht verschiedene Sport- und Spielangebote und vermittelt bei Konflikten. „Wir haben die Gruppe, die hier früher regelmäßig für Randale gesorgt hat, gesprengt, einige konnten wir an Jugendeinrichtungen andocken“, sagt Sevil Yildirim, Leiterin vom MaDonna. Um die Jugendlichen besser zu erreichen, gehen so genannte Peerhelper mit. Das sind Jugendliche, die teilweise früher selber in Gangs waren und nun den Absprung geschafft haben. Sie fungieren als positive Vorbilder.

Das Laidak wird nicht mehr schikaniert

Für den Neuköllner Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) kann dadurch dem Ziel entsprochen werden, bereits auffällig gewordene junge Leute rechtzeitig zu erreichen und sie nicht zu Intensivstraftäter werden zu lassen. Anlässlich der Vorstellung der Evaluation bescheinigte er der Polizei, den Richtigen auf die Füße getreten zu sein. Das ist auch Michael Thomas Einschätzung. Es gebe eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Streetworker mit der Polizei. Bei Vorfällen wurde rasch und in Abstimmung verschiedener Stellen reagiert. Mit verblüffendem Erfolg, wie der Fall eines Jugendlichen zeigt, der eine Zeitlang rund um die Kneipe „Laidak“ am Boddinplatz Stress gemacht und Mitarbeiter*innen angepöbelt hat. Nach einem gemeinsamen Treffen mit den Eltern und dem Bruder des Jugendlichen, der Jugendgerichtshilfe, Streetworkern, der Polizei und Laidak hat sich die Lage beruhigt.

Erlebnisreisen können ein Umdenken einleiten

Dass man selbst schwierige Jugendliche erreichen kann, zeigt auch die dritte Säule des Projekts: „Raus aus Neukölln“. Bei mehrtägigen Fahrten zu Bildungsstätten, etwa zum Flecken Zechlin in Brandenburg, wird nicht nur das Gemeinschaftserleben gestärkt, sondern auch an antisemitischen und homophoben Einstellungen gearbeitet. Konkretes Ergebnis einer Fahrt nach Hamburg beispielsweise bei der auch ein KZ sowie das Magnus-Hirschfeld-Centrum besucht wurde, ist eine Gesprächsgruppe mit dem offen schwul lebenden Gründer der Jugendeinrichtung Morus 14. „Wir können dem alle möglichen Fragen stellen, ohne dass er beleidigt ist“, berichtet ein Peerhelper. Vorher hatte er noch nie Kontakt zu Homosexuellen.

Weiterfinanzierung des Projekts gewünscht

Die Finanzierung des Projekts ist bis Ende 2019 gesichert. Für Ingo Siebert von der Berliner Landeskommission gegen Gewalt handelt es sich um ein Vorzeigeprojekt, das zeigt, wie der städtische Raum sicherer gemacht werden kann. Bezirk und Senat wollen sich um eine Anschlussfinanzierung bemühen.

Weitere Infos unter

http://www.jugendgewaltpraevention.de/content/auf-die-pl%C3%A4tze

Hier kann man demnächst auch die 60 Seiten starke Evaluation herunterladen, die „Camino – Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH“ kürzlich vorgelegt hat.