Im Schneckentempo auf dem Weg zum fahrradfreundlichen Neukölln?

Eine Podiumsdiskussion in der Neuköllner Oper beschäftigte sich mit der Frage, warum es so lange dauert mit der Verkehrswende

Quelle: Birgit Leiß

Quelle: Birigt Leiß

Zur Veranstaltung am 12. September 2022 unter dem Titel „Komm in die Gänge, Neukölln!“ hatte das Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln geladen. Die Initiative setzt sich für eine bessere Radinfrastruktur ein. Er verstehe die Ungeduld und Frustration, meinte Jochen Biedermann (Bündnis 90/Die Grünen), Stadtrat für Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr in Neukölln. Zwar sind in den letzten Jahren eine Reihe von geschützten Radfahrstreifen auf der Fahrbahn („protected bike lanes“) entstanden, die erste im Juli 2019 in der Karl-Marx-Straße. Außerdem wurde die Weserstraße zur Fahrradstraße umgebaut. Doch insgesamt gehe es viel zu langsam voran, so Biedermann, der selber passionierter Radfahrer ist. So wurde für eine andere Magistrale, die Hermannstraße, fast vier Jahre lang um einen Poller-Radweg auf der Fahrbahn gerungen. Nun wurde immerhin im südlichen Abschnitt einer eingerichtet, der nächste Bauabschnitt soll bald folgen.

Es fehlt an Personal

Das Berliner Mobilitätsgesetz schreibt bereits seit 2018 vor, Fahrräder und öffentliche Verkehrsmittel vorrangig gegenüber dem Autoverkehr zu behandeln. Woran hapert's also? Auf diese Frage musste Biedermann nicht lange überlegen: „Zu wenig Personal und zu viel Abstimmungs-Hickhack zwischen den verschiedenen Zuständigkeiten.“ Immerhin gebe es anders als noch vor ein paar Jahren mehr Unterstützung durch den Senat. Statt zwei wie noch vor einigen Jahren gibt es mittlerweile rund 80 Verkehrsplanende in der Senatsverwaltung für Umwelt und Mobilität, so Staatssekretärin Dr. Meike Niedbal. Man habe einen Leitfaden Spielstraßen erstellt, ein Leitfaden Kiezblocks ist in Arbeit. Damit will man den Bezirken das rechtssichere Vorgehen erleichtern.

Es bläst ein starker Gegenwind

Kann man vielleicht vom Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg lernen? Die ehemalige Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis 90/Die Grünen) hat den ersten Pop-Up-Radweg Deutschlands bauen lassen und gilt als – durchaus umstrittene – Vorreiterin. Ob Spielstraße oder Pop-Up-Radweg, man habe bei fast jeder Maßnahme eine Klage bekommen und in der Regel in der ersten Instanz verloren, berichtete sie: „Dann studiert man eben die Urteilsbegründung und bessert nach.“ Ihre Erfahrung: Die Gegner der Verkehrswende protestieren am lautesten. Daher brauche man die Unterstützung derjenigen, die weniger Autos wollen. „Wir können es nur mit der Zivilgesellschaft schaffen“, meinte auch Jochen Biedermann. Inzwischen gebe es zum Glück viele Initiativen, die Druck machen.

Ist die Verkehrswende „weiß“?

Gegenwind kam von Eda Koca. Die Neuköllnerin studiert Verkehrswesen und forderte vehement andere Beteiligungsverfahren: „Die türkisch-kurdische und arabische Community wird derzeit nicht gehört“. Die Leute hätten Sorge, dass ein autofreies Quartier Besserverdienende anzieht und sie dadurch verdrängt würden. Es gebe nun mal unterschiedliche Lebensrealitäten, man dürfe das Fahrrad nicht romantisieren. Doch eine echte, ergebnisoffene Beteiligung fände gar nicht statt, kritisierte Eda Koca. Herrmann und Biedermann konterten: es gebe nun mal das demokratisch legitimierte Mobilitätsgesetz. „Wir diskutieren nicht mehr über das Ob, sondern über das Wie“, so Herrmann.