Vorleben, dass ein cleanes Leben möglich ist

In der Selbsthilfegruppe Klärwerk e.V. in der Reuterstraße 6 unterstützen sich Suchtkranke auf dem Weg in ein drogenfreies Leben. Am 20. April 2024 feierte Klärwerk den 40.Geburtstag.

Peter, Frank, Gerhard (von links nach rechts); Quelle: Birgit Leiß

Quelle: Birgit Leiß

Der große Raum mit dem langen Tisch und den vielen Blumen und Bildern wirkt freundlich. Hier finden die Gruppenabende statt, das Herzstück des Vereins. „Wir wollten keinen kalten Therapieraum, sondern ein gemütliches Wohnzimmer. Die Leute müssen sich hier wohlfühlen“, sagt Frank vom vierköpfigen Vorstand. Viermal pro Woche treffen sich hier Menschen, um sich auszutauschen und gegenseitig zu motivieren. Einige haben gerade erst einen Entzug hinter sich, andere sind seit Jahrzehnten trocken. Mit ihrer Sucht kämpfen sie alle, denn sie begleitet einem ein Leben lang, wie Peter, ebenfalls im Vorstand, erklärt. Einzige Bedingung: man darf nicht alkoholisiert zu den Gruppenabenden erscheinen.

Die Scham ist groß

Als Klärwerk im April 1984 von einer Gruppe suchtabhängiger Menschen gegründet wurde, ging es um Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit. Später wurde es auf alle Drogen ausgeweitet, denn „Sucht ist Sucht“, wie Peter und Frank betonen. Die Räume im Flughafenkiez wurden bezogen. Vorher war der Verein lange Zeit in der Friedrichsbrunner Straße in Britz. Die Miete übernimmt das Landesamt für Gesundheit und Soziales, die restlichen Ausgaben werden über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert. Die meisten aus der Gruppe wohnen in Neukölln. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Milieus und die Altersspanne reicht von 20 bis 87 Jahren. „Bei uns ist es die ganze Woche über voll“, sagt Frank. Etwa 60 bis 70 Klienten sind es pro Woche.  Von Anfang an war Klärwerk eine der wenigen Selbsthilfegruppen, die auch Angehörigen offenstehen. Doch das werde nur wenig genutzt, bedauern die beiden. „Die Hemmschwelle ist zu groß“, weiß Peter.

Aufstehen und weitergehen ist das Motto

Die Zahlen sind deprimierend. 95 Prozent aller Suchtkranken werden rückfällig. Da helfe nur „Aufstehen und weitergehen“, sagt Frank. Diejenigen, die es geschafft haben, leben den anderen vor, dass es möglich ist, auf Dauer clean zu leben. „Wir sind sozusagen das lebende Beispiel dafür, dass es funktioniert“, sagt Frank. Seine Arbeit macht er rein ehrenamtlich – und das seit 27 Jahren. „Die Gruppe hat mir geholfen, mein Leben auf die Reihe zu kriegen, also kann ich etwas zurückgeben.“ Außerdem würden ihm die Rückfälle anderer helfen, wachsam zu bleiben. Denn das Schwierige nach der Entgiftung und der anschließenden Therapie ist es, nicht wieder in alte Verhaltensweisen zurückzufallen. Oft ist das ganze Umfeld weg, die Kumpels, mit denen man getrunken hat oder der Dealer. Daher seien auch die Freizeitaktivitäten so wichtig, erklärt Frank. Am „normalen“ Leben teilzunehmen, müssten Süchtige erst wieder lernen. Gemeinsam werden Ausflüge unternommen, Bowling gespielt und Weihnachten gefeiert. Dreimal im Monat findet ein Sonntagsfrühstück statt und demnächst organisiert Peter eine 20er-Jahre-Party. Eine schöne Tradition ist auch das Eisbeinessen, das Peter in der großen Küche der Vereinsräume vorbereitet.

Wieder klar sehen statt durch Nebel gucken

Für mich ist das meine Familie“, erklärt Gerhard, mit 87 Jahren der Älteste in der Gruppe. Der Witwer kommt gern zum Sonntagsfrühstück und hat noch im letzten Jahr die Fahrt nach Dresden mitgemacht. Seit 2008 ist er ohne Unterbrechung trocken. Er habe kapituliert, sagt er: „Der Alkohol ist stärker als ich, ich leg’ mich nicht mehr an mit ihm.“ Mal ausnahmsweise zum Geburtstag mit einem Gläschen Sekt anstoßen – das geht nicht, wie er aus leidvoller Erfahrung weiß. So viele Jahre habe er wie durch Nebel geblickt. „Jetzt sehe ich wieder klar“, meint er und erklärt so nebenbei den Namen des Vereins.


Klärwerk e.V.
Reuterstraße 6
Telefon 030 863 340 92