Warten auf Normalisierung - Neuköllns Gewerbetreibende zwischen Hoffen und Bangen

Nach über einem Jahr Pandemie blicken viele Geschäftsleute mit Sorgen in die Zukunft

Quelle: Birgit Leiß

Quelle: Birgit Leiß

„Langfristig kann ich so nicht überleben“, sagt Hussein Seif. Vor der Pandemie war sein Barber Shop „The Barber Yard“ in der Flughafenstraße 15 fast immer voll ausgebucht - und das obwohl er nicht billig ist. 30 Euro kostet ein Haarschnitt oder eine Bartrasur. Den stylish eingerichteten Laden, dem auch eine Zigarren-Lounge angeschlossen ist, betreibt er zusammen mit seinem Bruder seit 2007. Doch dann kam der erste Lockdown, drei Monate lang blieb der Barber Shop zu. Mitte Dezember musste er wieder schließen. Anfang März konnte er wieder öffnen, doch seitdem muss ein Termin vereinbart und ein Negativtest vorgelegt werden. „Auch wenn der Test nichts kostet, ist das den Leuten einfach zu viel Aufwand“, seufzt der Inhaber. Die Nachricht, dass ab Mitte Juni die Testpflicht für Friseure aufgehoben wurde, ist für ihn daher eine Riesen-Erleichterung. „Jetzt kann es endlich wieder aufwärts gehen“, hofft Hussein Seif. Mit Unterstützung von Ina Rathfelder von der mpr Unternehmensberatung hat er die sogenannte Neu-Start-Hilfe bekommen.

Kommt das dicke Ende noch?

 Ina Rathfelder und ihr Kollege Refat Abusalem beraten im Rahmen des BIWAQ-Projekts „Unternehmen Neukölln“ kostenlos Gewerbetreibende. Nach wie vor gibt es viel Informationsbedarf über die sich ständig wechselnden Corona-Regeln. 'Wie oft muss ich meine Mitarbeiter testen?' 'Kann ich die Umbaukosten für den Hygieneplan als Betriebsausgaben geltend machen?' Die beiden stehen für Fragen zur Verfügung, organisieren kostenlose Workshops und suchen die Geschäftsleute auch von sich aus auf, um ihre Unterstützung anzubieten. Geschäftsaufgaben seien bislang kaum zu beobachten, sagen sie. Doch das könnte mit der Aufhebung der Insolvenzmeldepflicht zusammenhängen. „Das dicke Ende könnte noch kommen“, befürchtet Ina Rathfelder. Viele hätten sich im privaten Umfeld verschuldet. „Wovon soll das zurückgezahlt werden?“ Die meisten würden sich derzeit noch über Wasser halten – dank der finanziellen Hilfen, aber auch weil es keine Alternative gibt.

Die Leute haben kein Geld für neue Hosen

Auch für Ramazan Aydin und seine „Star-Boutique“ in der Flughafenstraße 34 sieht es nicht gut aus. Zwar kann man seit neuesten wieder ohne Test einkaufen, doch der Umsatz ist trotzdem mau. „Viele sind arbeitslos geworden oder machen Kurzarbeit, da läuft man eben notfalls mit kaputter Hose herum“, meint der Inhaber. Vor Corona konnte er gut von dem Laden leben, sagt er. Die Überbrückungshilfe, die er mit Hilfe von Ina Rathfelder beantragt hat, sicherte erst einmal das Überleben. Aber wie geht es weiter, wenn die Kundschaft weiter ausbleibt?

Bei der Beantragung der Corona-Hilfen gibt es Unterstützung

Die finanziellen Hilfen seien ausreichend, sagen die beiden Unternehmensberater. „Die Neustart-Hilfe ist relativ einfach und kann selbst beantragt werden, wir sind gern behilflich“, erklärt Ina Rathfelder. In der Regel sei das Geld innerhalb von einer Woche auf dem Konto. Die Überbrückungshilfen müssen dagegen über einen Steuerberater oder eine Steuerberaterin beantragt werden.

Das Projekt „Unternehmen Neukölln“ wird im Rahmen des Programms „Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier“ (BIWAQ) durch das Bundesbauministerium und dem Europäischen Sozialfonds gefördert.

Kontakt:
www.unternehmen-neukoelln.net
mpr@unternehmen-neukoelln.net
Telefon (030) 2060 73913