Neuköllner Geschichte im Grünen

Der St.-Jacobi-Kirchhof ist eine grüne Oase zwischen Karl-Marx-Straße und Hermannstraße und erzählt viel über Neuköllns Geschichte.

Quelle: Jens Sethmann

Quelle: Jens Sethmann

Quelle: Jens Sethmann

Quelle: Jens Sethmann

Nicht weit vom Hermannplatz, mitten in der „Neuköllner City“ gibt es eine große Grünanlage, in der man durchatmen, Ruhe finden und Eichhörnchen beobachten kann. Hinter dem Eingang an der Karl-Marx-Straße erstreckt sich der St.-Jacobi-Kirchhof. Auf diesem Friedhof ruhen zwar keine weltberühmten Persönlichkeiten, aber die Neuköllner Lokalprominenz ist hier begraben.

1852 „j.w.d.“ angelegt

Der Friedhof gehört zur evangelischen St.-Jacobi-Gemeinde, deren Kirche in der Oranienstraße in Kreuzberg steht. 1852 hat die Gemeinde das Gelände gekauft, das damals weit draußen vor den Toren der Stadt lag. Im selben Jahr fand auch die erste Beisetzung statt. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mussten das Totengräberhaus und die Leichenhalle wegen des U-Bahn-Baus in der heutigen Karl-Marx-Straße abgerissen werden. Als Ersatz ließ Stadtbaurat Reinhold Kiehl 1910 bis 1913 eine neue Friedhofskapelle und ein Verwaltungsgebäude bauen. Beide sind im Stil eines antiken Tempels gehalten und durch einen Kolonnadengang miteinander verbunden.

Im Jahr 1925 wurde der Friedhof im östlichen Teil hinter den Häusern der Mainzer Straße erweitert: In einer ehemaligen Kiesgrube wurde ein etwa vier Meter tiefer liegender Urnenhain angelegt. Weil die Hermannstraße 1956 verbreitert wurde, musste der Friedhof einen bis zu 14 Meter breiten Streifen abgeben. 50 Bäume wurden gefällt und etwa 3000 Gräber umgebettet. Der Lärm der Straße stört auf dieser Seite leider die Ruhe des Friedhofs. Ganz im Süden hinter den Häusern der Biebricher Straße soll ein Teil des Friedhofes auf lange Sicht aufgegeben werden. Hier finden deshalb seit 2017 keine Beerdigungen mehr statt.

Baumeister und Namensschöpfer

Der berühmteste Tote, der hier seine letzte Ruhe fand, ist Reinhold Kiehl (1874-1913), der als Stadtbaurat ab 1905 das Wachstum Neuköllns zur Großstadt entscheidend geprägt hat. Er schuf nicht nur das Neuköllner Rathaus, sondern auch das Stadtbad, das Krankenhaus Neukölln und mehrere Schulgebäude. Kurz nach der Fertigstellung des von ihm gestalteten Friedhofseingangs starb Kiehl im Alter von nur 38 Jahren. Seine Grabstelle befindet sich an der Mauer des ebenfalls von ihm entworfenen Albert-Schweitzer-Gymnasiums.

Nur wenige Meter entfernt ruht in einem Familiengrab der Kommunalpolitiker Hermann Sander (1845-1939). Der Besitzer einer Textilfabrik war Mitglied des Rixdorfer Gemeindevorstands und ab 1899 über 20 Jahre lang Stadtverordneter. Sander war ein enger Mitarbeiter des Oberbürgermeisters Hermann Boddin und gilt als Erfinder des Namens „Neukölln“. Der Ortsname Rixdorf klang damals in den Ohren der Stadtoberen einer aufstrebenden Großstadt nicht würdig. 1912 wurde Rixdorf in Neukölln umbenannt.

Automatenkönig und Rennfahrer

In einem monumentalen Familiengrab ist Max Sielaff (1860-1929) begraben. Der Ingenieur erhielt 1888 ein Patent für einen „selbsttätigen Verkaufsapparat“ und stellte in seiner Firma seither neben Personenwaagen und Kraftmessern vor allem Warenautomaten her. Er entwickelte für den Schokoladenhersteller Stollwerck den ersten Süßwaren-Verkaufsautomaten und betrieb schon bald über 10 000 dieser Geräte in ganz Deutschland. 

Auch der Radrennfahrer und Konstrukteur Max Hahn (1899-1960) ruht auf dem St.-Jacobi-Kirchhof. Max Hahn (Spitzname „Kikiriki“) machte sich bei Sechstagerennen einen Namen. Nach seiner aktiven Karriere stellte er unter der Marke „Rennhahn“ erfolgreich Sporträder her. Er meldete Patente für Fahrradteile an und entwickelte sogar das „erste Raketen-Rad der Welt“ namens „Hahn Rak I“. Nachdem im Zweiten Weltkrieg sein Geschäft zerstört wurde, versuchte er sich als Betreiber der Werner-Seelenbinder-Radrennbahn. Doch nach einem Streit mit dem Bezirksamt Neukölln endete das Engagement für Hahn in einem finanziellen Fiasko. Auch sein Versuch, Kinder mit speziell entwickelten „Bambi-Rädern“ für den Radsport zu begeistern, hatte nur kurzzeitig Erfolg.

Auf dem Friedhof befinden sich außerdem noch die Gräber des Malers Franz Skarbina, des Bildhauers Paul Otto, des Kunstförderers Bernhard Koehler, des Kartographen Heinrich Kiepert und des Feinmechanikers Rudolf Fuess. In den Kolonnaden am Eingang lädt die Kaffeebar Jacobi zu einer Kaffeepause ein – bei schönem Wetter auch auf einer idyllisch-ruhigen Gartenterrasse.

St.-Jacobi-Kirchhof
Karl-Marx-Straße 4-10
geöffnet täglich 10 bis 20 Uhr (März bis Oktober), 10 bis 17 Uhr (November bis Februar)

Kaffeebar Jacobi
täglich 11 bis 18 Uhr