Kinomeile Hermannstraße

Rund um die Hermannstraße blühte vor 100 Jahren das Kinoleben. Fast 30 Lichtspieltheater, vom schlichten Ladenkino bis zum prunkvollen Filmpalast, boten der proletarischen Bevölkerung Feierabendunterhaltung

Quelle: www.cinematreasures.org

Quelle: Birgit Leiß

Quelle: www.cinematreasures.org

Quelle: Birgit Leiß

In der Hermannstraße 214-216 (Ecke Rollbergstraße) stand damals das größte Lichtspielhaus von ganz Europa, der Mercedespalast. 1927 eröffnet, hatte der vom Architekten Fritz Wilms entworfene Prachtbau über 2500 Sitzplätze. Der Zuschauerraum wurde von einer blauen, beleuchteten Kuppel überspannt und im Bühnenraum befand sich eine riesige Oskalyd-Orgel, eine spezielle Kinoorgel, die in den 1920ern in Mode kam. Ungeachtet der prachtvollen Ausstattung hatte Wilms die minderbemittelte Arbeiterbevölkerung Neuköllns im Blick. So waren in den seitlichen Flügelbauten eine Konditorei und eine Stehbierhalle für das einfache Volk untergebracht. Eine Karte für einen Film inclusive Revue kostete maximal 1 Mark. 1943 wurde der Mercedespalast von Fliegerbomben zerstört. Nach dem Wiederaufbau wurde das nun wesentlich schlichtere Kino in „Europa-Palast“ umbenannt. Im Obergeschoss wurde ein zweiter Saal, das „Roxy“ mit 750 Plätzen integriert. 1969 wurde das Kino dann wegen sinkender Besucherzahlen geschlossen und zum Warenhaus Woolworth umgebaut. Als 1992 das Büro- und Einkaufszentrum Kindl-Boulevard gebaut wurde, riss man den ehemaligen Mercedespalast ab. Woolworth zog in die benachbarten, denkmalgeschützten Kindl-Festsäle.

Aus einem Schmuckstück wird eine Drogerie

Direkt gegenüber, in der Hermannstraße 49, wo heute ein „Rossmann“ ist, wurde 1915 das „Palast-Kino Stern“ eröffnet. 1924 brannte es bis auf die Grundmauern nieder. Der Neubau umfasste 1170 Plätze unter einer elliptischen, goldenen Kugel, die der Berliner Maler August Unger kunstvoll verziert hatte. Das Kino existierte bis 1973. Danach zog ein Drogeriemarkt ein. Das Palast-Kino Stern war der erste eigenständige Filmtheaterbau. Meist befanden sich die Kinos damals in Mietshäusern.

Niedergang in den 1960er Jahren

Ein solches Ladenkino war auch das 1903 eröffnete „Elite“ in der Hermannstraße 35 (Ecke Flughafenstraße), das allererste Kino in Neukölln. Auch in der Donaustraße 24 (Ecke Fuldastraße) befand sich bis 1943 ein Ladenkino mit zunächst 130, später 178 Plätzen.  

Einen ganz anderen Charakter hatte das Filmtheater in der Passage in der Karl-Marx-Straße 131/131. 1910 unter dem Namen „Exzelsior-Lichtspiele eröffnet, war es mit seinem zweigeschossigem Zuschauerraum, den Goldverzierungen und den Kronleuchtern ganz nach dem Geschmack des Bürgertums. 650 Sitzplätze gab es. Die täglichen Stummfilmvorführungen wurden von sechs Musikern begleitet. Auch dieses Kino fiel Ende der 1960er Jahre dem Siegeszug des Fernsehers zum Opfer. 20 Jahre lang diente es als Möbellager. Erst 1989 wurde es von der Yorck-Kinogruppe entdeckt und reaktiviert. Heute zählt der Saal 1 der Passage zu den schönsten Sälen Berlins.

Eine wechselvolle Geschichte hat auch das heutige Neue Off in der Hermannstraße 20. Es wurde 1919 als Varieté eröffnet und 7 Jahre später als Filmtheater „Rixdorfer Lichtspiele“ bespielt. 1975 war es dann für ein paar Jahre ein Eros-Schmuddelkino, bevor es 1979 in die  Yorck-Gruppe aufgenommen wurde.

Neubau von Kinos in der Nachkriegszeit

In den 1950er Jahren entstanden in Baulücken neue Kinos, etwa der Atlas-Palast in der Flughafenstraße 5 (Ecke Karl-Marx-Straße). Das Kino, das in einem sechsgeschossigen Miethaus untergebracht war, verfügte über 728 Sitzplätze und eine moderne technische Ausstattung. Doch bereits 1969 musste es schließen. Die Räumlichkeiten wurden fortan vom Supermarkt nebenan mitgenutzt.

Internationales läuft in Neukölln

Heute ist Neukölln aufgrund seiner internationalen Bewohnerschaft ein Ort für anspruchsvolles Arthouse-Kino, gern in OmU (Original mit Untertiteln). So werden im „Karli“ in den Neukölln Arcaden regelmäßig türkische Blockbuster im Original gezeigt und im „Rollberg“ im Kindl-Boulevard, nur ein paar Meter vom einstigen Mercedespalast entfernt, kommen Cineast*innen bei der Französischen Filmwoche und anderen Festivals auf ihre Kosten.